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 Gespräche     
  Kammerorchester Basel 19.01.2007 
Bild n/1086 Giovanni Antonini
© Kammerorchester Basel
».... eine Musik, der ein gewisses Fieber innewohnt!«

Hans Georg Hofmann: Die historische Aufführungspraxis hat die Musik bis über das 18. Jahrhundert hinaus als Klangrede mit ihren Affekten, Gesten und rhetorischen Figuren neu entdeckt. Das 19. Jahrhundert wird hingegen mit Vorliebe für die Unendlichkeit der Melodie auch als „singendes Zeitalter“ bezeichnet. Sind Beethovens Sinfonien mehr „singend“ oder mehr „erzählend“?

Giovanni Antonini: Nun, das ist nicht leicht zu sagen – Beethoven ist eine sehr komplexe Persönlichkeit, die ganz klar eine Wende in der Musikgeschichte darstellt.
Von seiner musikalischen Ausbildung her gehört Beethoven durchaus zum 18. Jahrhundert, zweifellos ist er aber ein Neuerer. Während seine ersten Sinfonien noch eine Art Hommage an Mozart und Haydn darstellten, zeigt die Eroica eine völlig neue Struktur: bis dahin hatte es keine Sinfonie von einer derartigen Länge gegeben – eine Revolution in Form und Harmonik. Sie ist in einer Phase des Neubeginns entstanden, kurz nach der Französischen Revolution. Ich finde aber in seinen ersten Sinfonien ausser den Neuerungen, auch noch viele der bis dahin üblichen rhetorischen Elemente – jedoch in einer zukunftsweisenden Interpretation.

Doch jede einzelne Beethoven-Sinfonie stellt eine Welt für sich dar, mit einem ganz eigenen Charakter. Seine Eroica ist die aussergewöhnlichste Sinfonie, die wir kennen während er in der 4. Sinfonie scheinbar zum Klassizismus zurückkehrt. Im ersten Satz greift er explizit auf rhetorische Elemente zurück. Natürlich ist auch die Art und Weise der Interpretation entscheidend – es gibt die traditionelle, klassische Aufführung, aber auch zukunftsweisende, wie z. B. diejenige Wagners, der die romantischen Züge in Beethovens Sinfonien herausgearbeitet hat. Wagner hat sie gewissermassen „vordatiert“, sie also nicht gemäss den Tendenzen seiner Zeit interpretiert, sondern sie vielmehr in einer kommenden Zeit angesiedelt. Beethoven ist für mich schwer einzuordnen – er ist weder klassisch noch romantisch.

Haben Beethovens frühe Sinfonien eigentlich noch einen „Unterhaltungswert“ oder waren sie schon immer „der säkularisierte Gottesdienst des Bürgertums”, wie es der Musikologe Peter Schlennig einmal formuliert hat?

Das ist nicht mit wenigen Worten zu beantworten, denn zunächst müsste man klären, was mit Unterhaltung gemeint ist. Zu Beethovens Zeiten ging man unter ganz anderen Voraussetzungen ins Konzert, eben um sich zu unterhalten, sich zu beschäftigen, indem man Musik hörte. Der Gang ins Theater war ein soziales Ereignis, man nutzte ihn als Gelegenheit, um sich mit anderen zu treffen. Heute versteht man ja unter Unterhaltung eher so etwas wie „sich amüsieren“. Im 17. und 18. Jahrhundert gab es eben auch eine ganz ausgeprägte Vorstellung davon, für wen ein bestimmtes Werk gedacht war. Während Sinfonien sich an eine grosse Zuhörerschaft richteten, wurden Quartette eher für ein spezialisiertes Publikum geschrieben. Und auch Beethoven war sich immer sehr genau bewusst, für welches Publikum er welche Musik schrieb. In einem Brief an seinen Verleger Hofmeister äussert er sich sogar in einer Passage ganz explizit dazu (Brief vom 5.01.1801).
Die Eroica nimmt hier einen besonderen Platz ein, denn sie ist bewusst experimentell und völlig neuartig – sie dauert über 50 Minuten, im ersten Satz tauchen zahlreiche, sehr verschiedenartige Themen auf. Beethoven zeigt eine einzigartige innere Entwicklung, die Bläser werden auf ganz neue Weise eingesetzt. Dahinter steckt eine eindeutige Absicht: Beethoven wollte das Publikum aufrütteln.

Tatsächlich ist er der erste wirklich politische Komponist und wurde angefeuert von den Ideen der Französischen Revolution. Beethoven galt ja bereits zu Lebzeiten als Genie, wohingegen z. B. Mozart und Haydn im Grunde Handwerker, zwar Meister ihrer Zunft, aber dennoch „Diener“ waren.

Beethoven konnte es sich leisten, zu provozieren. Er suchte die Konfrontation mit dem Publikum. Es ist allerdings nicht gesagt, dass das Publikum auch immer die ganze politische Dimension des Beethoven’schen Werkes erfasste – vielleicht liess es sich tatsächlich „nur“ unterhalten. Aus unserer heutigen Perspektive sehen wir diese Dimension natürlich ganz deutlich.

Ein wichtiger Gedanke im Zusammenhang mit „Unterhaltung“ ist übrigens auch die Ironie, eine typische Eigenheit des 18. Jahrhunderts. In Haydns Divertimenti spüre ich sie ganz deutlich – er ist eben als Österreicher eher meridionaler Natur – während sie in Beethovens Werken nicht anzutreffen ist. Ebenso wie in der gesamten, sich anschliessenden Epoche der Romantik.

Der Prozess der musikalischen Entwicklung, der in Beethovens Sinfonien abläuft, vermittelt den Eindruck von Energien, die sich permanent auf- und entladen. Könnte man da nicht auch von einer „Elektrizität in der Musik “ sprechen?

Dieser Begriff stammt ja tatsächlich von Beethoven selbst: In einem seiner Konversationshefte schrieb er, als er schon fast taub war, über sich selbst, dass er eine elektrische Persönlichkeit sei. Das war ein sehr zeitgemässer Ausdruck, der ein eindrucksvolles Bild dieser Epoche entwirft: Man begann, sich mit diesen völlig neuartigen Phänomen der Elektrizität zu beschäftigen!
Es ist gar nicht leicht in Worte zu fassen, was man unter elektrischer Musik verstehen kann – eine Musik, der ein gewisses Fieber innewohnt, die obsessiv ist. Denken wir z. B. an die 5. Sinfonie, in der das berühmte, kurze Motiv in einer Art – eben „Besessenheit“ immer wiederkehrt. Elektrizität also auch im Sinne einer ganz ursprünglichen Energie. Aber letztlich ist die Musik an sich ja schon eine Sprache, die gar keine anderen Worte mehr braucht.

Vielleicht kann man den Begriff „Elektrizität“ aber auch als Versuch auffassen, sich diesem „musikalische Giganten“ zu nähern – eine Annäherung an einen Mann, der sich für vieles interessierte, natürlich auch für die wissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit. Und da wollte er auch mit seiner Musik Schritt halten, zum Fortschritt beitragen, aber noch in einem sehr idealistischen Sinn.

Welchen Einfluss hat die Biographie eines Komponisten auf sein Werk und auf die Art und Weise der Werksinterpretation?

Schwer zu sagen. Meiner Meinung nach ist der Einfluss der Biographie bei einem Komponisten gar nicht so sehr groß. Vermutlich sind biographische Elemente für die Produktion von Literatur viel entscheidender. Musik ist ja eine abstrakte Sprache, die sich allerdings im Rahmen fester Regeln äußert. Im Grunde ist Komponieren ja vor allem das Ausüben eines Handwerkes, wobei bestimmte Techniken, wie z. B. der Kontrapunkt, Harmonielehre usw. angewendet werden.
Ich würde fast sagen, dass biographisches Wissen erst für spätere Interpreten der Musik von größerer Bedeutung ist. Man hat sich ja in jeder Zeit die jeweils passende Interpretation eines Werkes „zurechtgelegt“, indem man eben auch Fakten aus dem Leben des Komponisten für die eigenen Zwecke ausgelegt hat. Und das hat wohl auch seine Berechtigung, denn Musik ist ja etwas Universales, das sozusagen für alle da ist – ein Gedanke, der dem Komponisten im Moment des Schreibens sicherlich gar nicht bewusst ist.
Irgendwann „gehört“ das Werk nicht mehr dem Schöpfer, sondern es geht ins kulturelle Erbe über – so wie ein Kind, das aus dem Schosse der Familie in die Welt entlassen wird und dann ein eigenständiges Leben führt.

Aber generell interessieren mich biographische Fakten sehr. Von Beethoven weiss man ja, dass er auch gleichzeitig an mehreren, oft sehr unter- schiedlichen Werken arbeitete – er hatte z. B. die 2. Sinfonie noch nicht vollendet und arbeitete bereits an der Eroica.
Wahrscheinlich ist der Lebensweg eines Künstlers erst in der Spätromantik richtig entscheidend, bei Mahler zum Beispiel. Man muss ja bedenken, dass Musiker bis ins 18. Jahrhundert hinein noch längst nicht den Status von Künstlern hatten wie heutzutage. Beethoven ist im Grunde der erste, der von sich sagt: „Ich bin ein Künstler“.

Wie würden Sie die Zusammenarbeit mit dem KOB beschreiben?

Das KOB ist eine Gruppe junger, sehr enthusiastischer Musiker, die sich gerne auf Experimente einlassen. Die Aufführung von Beethoven-Sinfonien in kammermusikalischer Besetzung ist ja ein solches. Ich stelle immer wieder mit Freude fest, mit welchem Elan sie sich einbringen. Und obwohl wir von Anfang an auf sehr hohem Niveau musiziert haben, konnten wir gemeinsam ständig die Qualität unseres Spiels noch steigern. Das ist ja nicht selbstverständlich, denn in manchen etablierten Klangkörpern wird ein gewisses Niveau erreicht, doch dann findet keine Weiterentwicklung mehr statt. Unser Vorteil ist hier sicher, dass das KOB aus sehr jungen, offenen Musikern besteht, mit denen mich auch eine sehr freundschaftliche Beziehung verbindet. Aus diesen Gründen geniesse ich die Zusammenarbeit mit dem KOB ganz besonders.

Hans Georg Hofmann (Gespräch)
Sophia Simon (Übersetzung)


  Sonstige Informationen

Weitere Informationen zum Kammerorchester Basel hier.




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 Essen, Aalto-Musiktheater
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