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© Thilo Beu |
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Die Zeit ist ein sonderbar Ding
Martin Essinger: Der Rosenkavalier ist seit seiner Uraufführung 1911 ein Erfolgsstück der Opernbühne. Worin liegt Ihrer Meinung nach dieser Erfolg begründet?
Cesare Lievi: Ganz sicher in der Kombination von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Das Libretto ist sehr intelligent, literarisch anspruchsvoll, dramaturgisch hervorragend gebaut und dann gibt es die eingängige Musik von Richard Strauss, die ganz anders ist, als die Musik, die er bis dahin geschrieben hatte, etwa mit Elektra oder Salome. Zum Erfolg trug ganz sicher auch bei, dass es sich bei dieser Oper um eine Komödie handelt, von denen das deutsche Theater nur ganz wenige bedeutende aufweisen kann. Außerdem handelt es sich um eine Komödie, die Tiefgang hat. Hofmannsthal wurde einmal gefragt, wo diese Tiefe zu finden sei und er sagte: an der Oberfläche.
Sie haben bereits viele Opern inszeniert, zuletzt in Bonn Gioacchino Rossinis Il Barbiere di Sevilla. Aber den Rosenkavalier haben Sie sich ganz besonders gewünscht.
Ich mag Hugo von Hofmannsthal sehr und halte ihn für einen ganz wichtigen Schriftsteller, der leider heute etwas vergessen ist. Ich verstehe sehr gut die Schwierigkeiten, Hofmannsthal heute im deutschsprachigen Raum zu inszenieren, denn er gehört als österreichischer Aristokrat einer Welt an, die spätestens nach dem 1. Weltkrieg verschwunden ist. Aber obwohl diese Welt untergegangen ist, hat Hofmannsthals Dichtung immer noch einen großen Reiz, eine Aktualität und eine Modernität, die nichts mit Tagesmoden zu tun hat.
Nach seinem sogenannten Chandos-Brief war Hofmannsthal in eine tiefe Sprachkrise geraten, nachdem er mit siebzehn Jahren unter dem Pseudonym Loris als einer der hoffnungsvollsten Lyriker der Zeit gefeiert worden war. Was bedeutete für ihn die Oper und warum, meinen Sie, wählte er dazu die Form der Komödie?
Das Theater und die Oper waren für Hofmannsthal die Rettung aus seiner Sprachkrise. Auch wenn es für Hofmannsthal eine Trennung zwischen dem Wort und dem Ding gibt, sind die Wörter da und man muss diese Trennung überwinden und das ist möglich durch das Theater, durch die Schauspieler und vor allem durch die Musik. Das Theater ist die natürliche Mündung dieser Krise. Die antike Tragödie war für Hofmannsthal erschöpft, wie Elektra zeigt und ein neuer Weg war für ihn die Komödie.
Hofmannsthal und Strauss haben den Rosenkavalier als eine Komödie mit Musik bezeichnet. Was ist an diesem Werk das komische Element?
Man muss sich hüten, Komödie mit komisch gleichzusetzen. Komödie ist viel eher eine Struktur, eine Erzählweise, die die komische und manchmal auch die lächerliche Seite der Menschheit bloßstellt. Es ist eine Form von Enthüllung. Man sieht oft in der Komödie Situationen, von denen man denkt, so etwas kann nicht passieren. Und dann stellt man erstaunt fest, dass die Menschen tatsächlich so sind. Ich finde, in unserer Zeit ist die Tragödie nicht mehr möglich, aber die Komödie ist noch möglich, denn das Leben ist der Komödie näher als der Tragödie. Und oft fallen in der Komödie die komische und die tragische Seite zusammen, wie auch im Rosenkavalier.
Den Autoren folgend spielt diese Oper in der Zeit Maria Theresias, also in einer Zeit des Rokoko, der extremen Standesunterschiede. Aber im Rokoko gab es natürlich den Walzer noch nicht, im Wien der Entstehungszeit 1910/11 aber war der Walzer zum Synonym der Stadt geworden. War das ein Grund für Sie, das Werk zeitlich zu verlegen?
Für mich ist dieses Werk nicht an eine bestimmte Zeit gebunden. Hofmannsthal siedelte es zwar in der Zeit Maria Theresias an, denn die Zeit Maria Theresias war für Österreich eine Glanzzeit. Hofmannsthal hat hier die Gepflogenheit der Silbernen Rose eingeführt, die aber völlig von ihm erfunden ist. Ebenso wie Strauss den Walzer verwendet, der vor allem zum Wien des 19. Jahrhunderts gehört. Beide zeigen also im Grunde zeitlose Dinge, für beide ist Maria Theresias Zeit verklärt und zu einer fabelhaften Märchenzeit geworden. Dieses Märchen, das sie erzählen, ist nicht nur ein verklärtes Bild der Vergangenheit, sondern gleichzeitig auch ein Ort der Utopie. In diesem Märchen zeigt Hofmannsthal eine Monarchie, wie sie als Ideal hätte sein können, auch wenn er sie nicht ohne kritischen Blick betrachtet. Vielleicht kann man diese Komödie als Hofmannsthals Traum der Aristokratie bezeichnen. Dieser Traum aber weist gesellschaftliche Elemente auf und der Unterschied zwischen den Klassen wie Aristokratie, Bürgertum und Dienerschaft muss deutlich und klar sichtbar sein. Und die letzte Zeit, in der noch eine Aristokratie sichtbar war , waren die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, wie sie etwas in Fellinis Film La dolce vita gezeigt wird. Darum haben wir uns entschlossen, den Rosenkavalier hier anzusiedeln, wobei vieles auch zeitlos sein und das Werk im Märchen und im Traum enden wird.
Wie passt in diese Welt die Marschallin und wie sehen Sie ihre Entwicklung innerhalb des Stückes?
Der Hauptprotagonist dieses Märchens, dieses Traumes ist die Marschallin. Sie ist eine Theaterfigur, die zu Beginn von Gier nach Leben besessen ist. Dann versteht sie langsam, dass die Zeit existiert und mit der Zeit auch der Tod. Zeit und Tod aber fordern vom Leben eine andere Haltung, vor allem die Fähigkeit des Verzichts. Sie versteht, dass man, um leben zu können und auch das Leben zu genießen, verzichten muss. Man muss das Leben nicht nur mit den eigenen, sondern auch mit den Augen der anderen sehen lernen, das heißt, die Menschheit lieben zu lernen und sich damit für ein ethisches Leben zu entscheiden. Und der Verzicht ist in Hofmannsthal Utopie dafür die Voraussetzung.
Wie sehen Sie die Beziehung von Octavian zur Marschallin und später zur Sophie? Liebt er eine von ihnen wirklich, oder sogar beide?
Die Beziehung zur Marschallin halte ich für ein Spiel, in dem er sich profilieren kann. Sophie ist jünger und schöner. Sie verspricht, für ihn vielleicht ein schöneres Abenteuer zu werden. Er empfindet erstmals wirklich etwas für einen anderen Menschen, die Beziehung zu Sophie ist kein Spiel mehr. Er spürt erstmals Gefühle für jemanden und ist auch bereit, etwas für ihn zu wagen. Aber er erreicht dadurch keine ethische Haltung. Die Begegnung mit Sophie verändert ihn nicht, er bleibt immer er selbst.
Baron Ochs auf Lerchenau spricht zwar immer wieder von seinem Lerchenauischen Glück, aber ist er nicht eine von Hofmannsthal ziemlich negativ gezeichnete Adels-Figur?
Baron Ochs ist eine sehr dramatische und sehr traurige Figur. Er ist eigentlich das Opfer, mit dem die Menschen und das Schicksal spielen, weil er eine falsche Beziehung zur Welt hat. Für ihn existiert der andere nicht, er sieht nur aus dem Blickwinkel seiner überlegenen Klassensituation und seiner Begierde heraus. Er glaubt frei zu sein, aber es ist eine Freiheit ohne den Anderen, Aber es kann keine eigene Freiheit ohne die Freiheit des Anderen geben.
Welche Rolle spielt Faninal, Sophies Vater, in dieser Konstellation und welche Stellung nimmt er in der Handlung ein?
Faninal ist durch und durch Kaufmann, der nicht nur Mehl verkauft (wir sehen dies in meiner Inszenierung deutlich im zweiten Akt), sondern um des Adelstitels willen auch seine Tochter. Sein Traum ist ein gesellschaftlicher Aufstieg und zur aristokratischen Schicht zu gehören und er weiß, dass ihm Geld allein dazu nicht verhilft. Er ist am Ende kein Vater, sondern er bleibt immer ein Kaufmann. Sophie wird in dieser Situation zu seinem Opfer.
Noch ein Wort zum Lever im 1. Akt: welche Funktion hat es für Sie in der Zeit, in der Sie die Oper spielen lassen?
Natürlich ist das Lever, das heißt der Empfang von Besuchern und Bittstellern im Schlafzimmer, eine Gepflogenheit des 18. Jahrhunderts. Natürlich gab es das auch später noch, Der Filmregisseur Lucino Visconti hat z. B. seine Besucher fast nur im Schlafzimmer empfangen. Aber das Lever hat für mich im Rosenkavalier die zusätzliche Bedeutung, dass plötzlich in die Privatsphäre der Marschallin die Welt und deren buntes Treiben einbricht. Bis dahin ist das Zimmer das ganz intime, stille Refugium der Marschallin und des Octavian. Aber dieses Refugium ist vergänglich und das Leben dringt ein wie ein bunter Fellinianischer Zirkus. Für mich hat das Lever auch in der Dramaturgie des Stückes die Funktion, dass die Marschallin für einen Augenblick das Eindringen der Zeit gesehen hat. Die eindringenden Menschen sind plötzlich wie ein Spiegelbild der Vergänglichkeit für sie. Danach kehrt die Stille zurück und sie beginnt über Zeit und Vergänglichkeit zu reflektieren.
Zeit und Vergänglichkeit sind wichtige Elemente dieser Oper. Machen Sie diese auch optisch sichtbar?
Das Problem im Rosenkavalier ist nicht die optische Darstellung von Zeit und Vergänglichkeit, sondern die Frage, wie kann man beide überwinden? Überwinden kann man sie nur dadurch, indem man Zeit und Vergänglichkeit akzeptiert, wie die Marschallin es tut und auch anerkennt, dass der Tod kommen wird. Wenn man das akzeptiert, sieht man, dass dieses Schicksal der ganzen Menschheit auferlegt ist. Und aus diesem Wissen um die Vergänglichkeit aller Menschen entwickelt sich die Liebe für Andere. Diese Hinwendung zu einer ethischen Lebenshaltung ist sicher eine der schönsten Utopien Hofmannsthals und ein wichtiger Aspekt von Hofmannsthals Zeitlosigkeit.
Quelle: Das Magazin 08/2006 | Theater Bonn | http://www. www.theater.bonn.de |
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