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 Gespräche     
  hr-Sinfonieorchester 17.09.2006 
Bild m/i39 Paavo Jäärvi
© hr/Anne Meuer
Der neue Chefdirigent Paavo Järvi über seinen Taktstock

Taktstöcke - Instrument, Waffe oder Zauberstab? Paavo Järvi, der neue Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters, über das kleine Holzstäbchen, das hundert Orchestermusikern den Takt anzeigt und von manchen Dirigenten auch zum Grillen verwendet wird.


Ist der Taktstock das Erkennungszeichen eines Dirigenten?
Paavo Järvi: Er ist ein Symbol, ja. Ein Geiger braucht eine Geige, ein Trompeter muss eine Trompete in der Hand haben, aber der Dirigent? Gerade als junger Student, wenn man noch nie vor einem richtigen Orchester gestanden hat, ist der Taktstock ein Symbol der Hoffnung, eines Anfangs. Ansonsten kann man auch ohne ihn sehr gut dirigieren.

Sie bräuchten einen Taktstock also gar nicht?
Ich verwende einen aus ganz praktischen Gründen. Wenn ich eine Oper wie Wagners „Götterdämmerung“ dirigiere, in der die Sänger weit entfernt auf der Bühne stehen, wäre ich ohne Taktstock schon nach dem ersten Akt am Ende meiner körperlichen Kräfte. Der Stab vergrößert den Radius der Arme, jede kleine Bewegung wird sichtbar. Und noch etwas: Der Stab ist weiß und ist in der Dunkelheit des Orchestergrabens einfach besser zu sehen.

Verwenden Sie immer den selben Stab? Oder den hölzernen für Beethoven, den aus Plastik für Modernes?
Ich selbst habe da keine feste Regel, aber ich bevorzuge einen Griff aus Kork wegen der Griffigkeit. Der Stab selbst sollte aus Holz sein, weil er weniger nachschwingt. Außerdem darf er nicht zu lang sein, muss zur Proportion der Hand passen. Aber das sind ganz persönliche Vorlieben. Nehmen Sie Karajan: Seine Taktstöcke waren so kurz und unauffällig, dass man sie kaum bemerkte. Carlos Kleiber dagegen war ein Magier am Taktstock, der Stab hatte regelrecht ein Eigenleben.

Taktstöcke kosten zwischen 1,99 Euro bei Ebay – „Wenig gebraucht“ – und 70 Euro. Wo liegt Ihre Preisklasse?
Als ich einmal in Pittsburgh dirigierte, zeigte mir eine Orchestermusikerin eine Kollektion von Taktstöcken, die ihr Mann selbst herstellt. Seitdem bestelle ich dort, einer kostet rund 50 Dollar, ist eben Handarbeit, sehr professionell ausgeführt.

Bevor Sie Dirigent wurden, waren Sie Schlagzeuger. Das Holz in der Hand waren Sie demnach schon gewohnt.
Nein, das ist etwas völlig anderes. Der Drumstick erzeugt unmittelbar ein Geräusch, der Taktstock sollte das besser nicht.

Rockmusiker zerschmettern eine Gitarre auf der Bühne. Sie waren ja eine Zeit lang Mitglied einer Rockband. Wie verhält es sich mit dem Zerbrechen von Taktstöcken?
Ich zerbreche sie oft, aber nicht aus rituellen Gründen. Es passiert einfach. Neulich, bei einer vierten Sinfonie von Brahms, ist es mir erst wieder passiert. Ich dirigierte sie ohne Taktstock zu Ende. Manche Dirigenten sind ja abergläubisch, was zerbrochene Taktstöcke betrifft. Ich bin das nicht. Gern erinnere ich mich an ein Konzert in Stockholm, bei dem mir der Taktstock aus der Hand gerutscht und bis weit in die Cello-Sektion hinein gefallen ist. Eine Cellistin ganz hinten hob ihn auf und schaute mich fragend an. Ich gab ihr ein Zeichen, ihn mir zuzuwerfen. Sie holte aus, das Ding flog durch die Luft, und ich fing es auf, alles während ich dirigierte. In einer Probe hätte so etwas nie geklappt, im Konzert aber herrschte eine derartige Anspannung, da erschien es ganz natürlich, dass ich den Stab fangen musste. Dem Publikum blieb der Mund offen stehen, klar.

Der Dirigent Bernard Haitink sammelt ja seine zerbrochenen Stäbe und verwendet sie als Grillspieße, sagt er.
Ich sollte noch etwas lernen, von den Alten Meistern, über das Grillen.

Aber einmal musste ihm ein Arzt auch vier Zentimeter Taktstock aus der Hand operieren.
Ja, es gibt viele Verletzungen mit Taktstöcken. Ashkenazy, Slatkin, man hört von solchen Unfällen immer wieder. Ist mir zum Glück noch nicht passiert. Ich hörte von einem Dirigenten, der sich ins Auge gestochen hat und trotzdem weiter dirigierte.

Der amerikanische Dirigent Fritz Rainer soll ihn sogar wie einen Speer nach einem Musiker geworfen haben ...
Es gibt so viele Fritz-Rainer-Geschichten, die können nicht alle wahr sein! Ich denke, da sind viele Legenden dabei.

Wahr oder nicht – ein Taktstock kann auch eine Waffe sein, oder? Zumindest auch ein Symbol für Macht?
Früher mag man den Stock sicher als Machtinstrument angesehen haben. Heute aber hätte ein Dirigent, der so denken würde, keine Chance mehr. Die Gesellschaft hat sich verändert und mit ihr das Orchester. Meine Generation von Dirigenten versucht bewusst alles zu vermeiden, was an Machtausübung oder gar Machtmissbrauch erinnern könnte. Der Dirigent als Despot, das ist vorbei.

Und wie sieht es mit der positiven Macht, der Autorität aus?
Autorität kommt jedenfalls nicht aus dem Taktstock. Echte Autorität resultiert aus musikalischer Kompetenz und persönlicher Integrität.

Ist Autorität genetisch bedingt? Das würde erklären, warum die Familie Järvi so viele Dirigenten hervorgebracht hat.
Schwer zu sagen. Ich kann nur sagen, wer diese Autorität hat und wer nicht, das sieht man sofort. Lernen kann man das nicht. Das kann regelrecht tragisch sein, denn ich habe so viele Menschen kennen gelernt, die interessante musikalische Gedanken hatten, aber nie das Zeug zum Dirigenten haben werden. Da ist das Leben wirklich nicht fair.
Das Gespräch führte Stefan Schickhaus

Zur Person: Paavo Järvi (43) stammt aus einer Musikerfamilie in Estland. Er studierte Schlagzeug und Dirigieren in Tallinn, ging 1980 in die USA und studierte dort weiter, unter anderem bei Leonard Bernstein. 2001 berief ihn das Cincinnati Symphony Orchestra als Chefdirigenten. 2004 wurde Järvi mit einem Grammy – dem „Oscar“ im Musikbereich – ausgezeichnet. Mit der Saison 2006/07 wird Järvi Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters. Er gehört heute zu den weltweit gefragtesten Dirigenten und ist bei den bedeutendsten Orchestern zu Gast.

Quelle: hr-Journal, Zeitung des Hessischen Rundfunks




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 Warszawa (Warschau), Polnische Nationaloper
© Polnische Nationaloper



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