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 CD     
  Kelemen, Joseph 
Vincent LĂŒbeck: Das Orgelwerk

Joseph Kelemen, Orgel


Vincent LĂŒbeck (1654–1740)
Das Orgelwerk
1 Praeludium C-Dur
2 Praeambulum und Fuge F-Dur
3 Praeambulum und Fuge c-Moll
4 Nun Last uns Gott den Herren
5 Praeludium g-Moll
6 Ich ruff zu dir, Herr Jesu Christ (transponiert nach d-Moll)
7 Praeambulum E-Dur (transponiert nach d-Moll)
8 Praeambulum G-Dur
9 Praeludium d-Moll

total 66:53



Als ZwanzigjĂ€hriger wurde Vincent LĂŒbeck als Organist an die Kirche St. Cosmae in Stade berufen und erlebte in dieser Zeit die Fertigstellung der neuen Huß/Schnitger-Orgel, die spĂ€ter noch von Arp Schnitger erweitert wurde. An demselben Instrument, das nach einer Reihe von Umbauten 1975 von JĂŒrgen Ahrend in seinen historischen Zustand zurĂŒckversetzt wurde, spielte Joseph Kelemen die vorliegende Aufnahme des Orgelwerks von Vincent LĂŒbeck ein. Vincent LĂŒbeck war seit seiner Zeit in Stade ein enger Vertrauter des Orgelbaumeisters Arp Schnitger, 1687 nahm er als SachverstĂ€ndiger die berĂŒhmte Orgel an St. Nicolai in Hamburg ab, wo er spĂ€ter selbst das Organistenamt bis zu seiner Emeritierung 1734 verrichten sollte. Joseph Kelemen, der bei OehmsClassics bereits hochgelobte Aufnahmen mit Orgelwerken von Johann Caspar Kerll und Georg Muffat vorgelegt hat, wurde in Budapest, Basel und Bremen ausgebildet und gilt als Kenner insbesondere der deutschen Orgelmusik des 17. Jahrhunderts und der Musik Johann Sebastian Bachs. Als aktiver Kirchenmusiker ist Kelemen Organist an St. Johann Baptist in Neu-Ulm.

Vincent LĂŒbeck (1654–1740)
Das Orgelwerk


Vincent LĂŒbeck wurde 1654 – wahrscheinlich in PadingbĂŒttel bei Bremerhaven – als jĂŒngstes Kind des gleichnamigen Organisten geboren. Der Vater verstarb vermutlich noch im selben Jahr; so erhielt Vincent Orgelunterricht von seinem Stiefvater Caspar Förckelrath. Dieser blieb der einzige Lehrer seiner Laufbahn. Bis zu seinem Tode 1683 war Förckelrath wie Vincents Vater Organist an St. Marien in Flensburg.

Als ZwanzigjĂ€hriger wurde Vincent LĂŒbeck 1674 zum Organisten von St. Cosmae in Stade berufen, wo er rasch zu einem weithin geschĂ€tzten OrgelpĂ€dagogen und OrgelsachverstĂ€ndigen wurde. Durch letztere TĂ€tigkeit kam er mit dem bedeutendsten Orgelbauer seiner Zeit, Arp Schnitger (1648–1719), in Kontakt. Aus der Bekanntschaft entwickelte sich ĂŒber die folgenden Jahrzehnte eine enge Freundschaft. In einem Brief an den Rat von Zwolle berichtet LĂŒbeck spĂ€ter, insgesamt etwa zwanzig Schnitger-Orgeln abgenommen (begutachtet) zu haben,1 darunter berĂŒhmte Instrumente wie von St. Nicolai (1687)2 oder St. Jacobi (1693)3 in Hamburg. „Die Beziehung von Vincent LĂŒbeck zu Arp Schnitger war so vertrauensvoll, dass LĂŒbeck sogar Zahlungen an Schnitger in dessen Auftrag entgegennehmen durfte.“ 4 Schnitger selbst war von LĂŒbeck als OrgelsachverstĂ€ndigem sehr angetan.5

1702 wurde Vincent LĂŒbeck Organist an der Kirche St. Nicolai in Hamburg, deren Schnitger-Orgel er frĂŒher abgenommen hatte. Mit ihren 67 Registern auf vier Manualen und Pedal war diese Orgel die grĂ¶ĂŸte Hamburgs und der damaligen Welt (1842 im Stadtbrand vernichtet). Den Organistendienst an St. Nicolai versah LĂŒbeck bis zu seiner Emeritierung 1734; nach seinem Tod 1740 wurde der Sohn Vincent LĂŒbeck d.J. (1684–1755) Nachfolger an der Stelle.

Zur Orgel

Die erste urkundliche ErwĂ€hnung einer Orgel im auf das 13. Jahrhundert zurĂŒckgehenden Kirchenbau Ss. Cosmae et Damiani stammt aus dem Jahre 1493. SpĂ€ter arbeiteten die besten Orgelbauer ihrer Zeit wie Hans Scherer d.Ä. (1591) und Hans Scherer d.J. (1635) an der Orgel.

Nach der Zerstörung dieses Instrumentes beim Stadtbrand 1659 erging der Auftrag zum Neubau an den Orgelbauer Behrendt Huß (?–1676) aus GlĂŒckstadt, der in einem Zeitraum von 1668 bis 1675 eine Orgel mit drei Manualen und Pedal errichtete. In der Werkstatt von Huß arbeitete seit 1666 sein Neffe Arp Schnitger als Geselle, der an der Klanggestalt der Orgel maßgeblich beteiligt war. Gerade die Orgel von St. Cosmae bietet uns aufschlussreiche Einblicke in einzelne Etappen von Schnitgers Entwicklung als Orgelbauer: Das Hauptwerk (Oberwerk) steht auf einer Springlade, eine Windladenbauweise, wie sie bei Huß noch ĂŒblich war; in allen anderen Werken von Stade und an allen spĂ€teren Orgeln baute Schnitger Schleifladen ein. Der Stader Prospekt verrĂ€t bereits unverkennbar Schnitgers Handschrift seiner reifen Periode. 1673 gab es eine erste Abnahme der Orgel; die endgĂŒltige Fertigstellung scheint 1675 geschehen zu sein, denn bis zu diesem Jahr wurden die Zahlungen fĂŒr den Orgelbau fortgefĂŒhrt.

1674 wurde Vincent LĂŒbeck Organist von St. Cosmae; auf sein Wirken hin wurde 1688 eine Erweiterung der Orgel durch Arp Schnitger in die Wege geleitet. Diese Erweiterung beinhaltete den Einbau der Cimbel und der Trompete 16’ im Oberwerk (Hauptwerk), des Krumphorns 8’ und der Schalmey 4’ im Brustwerk, und des Trechter Regals 8’ im RĂŒckpositiv. Ein besonderer Gewinn war die neue Trompete 16‘, die fĂŒr mehr GravitĂ€t im Klang sorgte.

Im 18. und 19. Jahrhundert fanden an der Orgel Umbauten mehrerer WerkstĂ€tten (Georg Wilhelm Wilhelmy, sein Sohn Georg Wilhelm, Johann Hinrich Röver) statt, durch deren Maßnahmen sich die Orgel vom Schnitger’schen Originalklang entfernte. 1917 mussten die zinnernen Prospektpfeifen des Oberwerks fĂŒr Kriegszwecke abgefĂŒhrt werden. Die Prospektpfeifen des RĂŒckpositivs entgingen diesem Schicksal, da sie durch die Umbauarbeiten zwischenzeitlich hinter dem HauptgehĂ€use standen.

Im Jahre 1975 wurde die Orgel von der Werkstatt JĂŒrgen Ahrend (Leer-Loga) unter orgelbauhistorischen Aspekten restauriert und dabei in den Zustand von 1688 gebracht. Nach einer umfassenden Restaurierung der Kirche wurde das Instrument 1993–94 einer weiteren Überarbeitung durch JĂŒrgen Ahrend unterzogen, wodurch die Orgel eine klangliche Verbesserung erfuhr. Heute gilt die Huß/Schnitger-Orgel in St. Cosmae als eine der wichtigsten Denkmalorgeln Norddeutschlands aus dem 17. Jahrhundert, vor allem durch die acht originalen Zungenstimmen.

Das LĂŒbeck’sche Orgelwerk in St. Cosmae

Angesichts in jĂŒngster Zeit aufgetauchter StĂŒcke7 aus Kriegsbeute der ehemaligen Sowjetunion war die Auswahl von LĂŒbecks Orgelwerken fĂŒr diese Einspielung durchaus eine wesentliche Frage. Die neu aufgetauchten StĂŒcke dĂŒrften eher fĂŒr pĂ€dagogische Zwecke entstanden sein und offenbaren nicht durchweg großen musikalischen Einfallsreichtum. Viele unter ihnen eignen sich in erster Linie fĂŒr das Cembalo, genauso wie die Clavier Uebung, die 1728 als einziges Werk zu LĂŒbecks Lebzeiten veröffentlicht wurde. Aufgenommen in die vorliegende Einspielung wurden LĂŒbecks sieben PrĂ€ludien sowie zwei choralgebundene Werke.

Ein anderes Problem bei der Einspielung in St. Cosmae stellen die entlegenen Tonarten mancher StĂŒcke dar (z.B. E-Dur), welche aufgrund der mitteltönigen Stimmung der Orgel nicht zu verwirklichen sind.8 LĂŒbecks Diskussion mit dem Orgelbauer Johann Heinrich Gloger bei der Orgelabnahme 1710 in Harburg9 deutet an, dass er in seinem Abnahmebericht fĂŒr die Errichtung einer modifiziert-mitteltönigen Stimmung plĂ€diert, welche den Vortrag vieler entlegener Tonarten erlaubt. Über die angestrebte Art der Modifizierung sagt der Abnahmebericht allerdings nichts NĂ€heres. Ein beredtes Beispiel fĂŒr eine ursprĂŒnglich modifizierte mitteltönige Stimmung liefert uns die Baumeister-Orgel von 1737 in Mahingen (Ries)10 in SĂŒddeutschland. Die Frage drĂ€ngt sich auf, ob nicht an norddeutsche Orgeln (angesichts des – gegenĂŒber sĂŒddeutschen Kompositionen – viel grĂ¶ĂŸeren Modulationsradius ihrer Orgelwerke) gegen Ende des 17. Jahrhunderts ebenfalls eine modifizierte mitteltönige Stimmung gelegt worden sein könnte? Um alle Werke LĂŒbecks in St. Cosmae verwirklichen zu können, entschieden wir uns – nach einer damals verbreitet angewandten Praxis – fĂŒr die Transposition zweier StĂŒcke: So wurde die Choralfantasie Ich ruff zu dir Herr Jesu Christ [06] statt ihrer Originaltonart e-Moll in d-Moll und das Praeambulum E-Dur [07] in C-Dur gespielt.

Im Zuge der Transposition mussten einige Passagen umgelegt werden, was Auswirkungen auf die StimmfĂŒhrungen nach sich zog. Solche Eingriffe kamen in der Barockzeit durchaus hĂ€ufiger vor: In Johann Sebastian Bachs (1685–1750) Toccata F-Dur (BWV 540, T.313–314) gehen die oberen Töne – bedingt durch den Klaviatur-Umfang – „aus“ und fallen um eine Oktave tiefer; im Sextus Versus von Matthias Weckmanns (c.1619-1674) Es ist das Heyl uns kommen her verlangt der Sopran im T.144 nach logischer StimmfĂŒhrung eigentlich das hohe d’’’, was Weckmann notgedrungen durch ein h” ersetzt. In Bachs Concerto G-Dur (BWV 592, T.25-26 des Presto-Satzes) ist der Oktavsprung Cis-cis° im Pedal um eine Oktave nach oben verlegt, weil Bach zu der Zeit offensichtlich an einer Orgel wirkte, die ĂŒber kein tiefes Cis verfĂŒgte. Dass diese Praxis des Umlegens nicht nur dem Barock vorbehalten gewesen zu sein scheint, zeigt das Sopran-Solo in Franz Schuberts (1797-1828) Agnus Dei seiner Messe G-Dur. Im dritten Agnus Dei (T.36) mĂŒsste sich die Sopranstimme von a” zum c’” heben, analog zum ersten Agnus Dei (T.8). Dies will Schubert der Sopranistin nicht zumuten; ihr Part wird im T.36 von a” auf c” heruntergefĂŒhrt. (Siehe Fig. I.)

Einige von LĂŒbecks Orgelwerken – wie das Praeambulum E-Dur [07] – heben sich vom Stil der vorhergehenden Epoche bereits durch galante ZĂŒge11 ab, was in der vorliegenden Einspielung etwa in der Handhabung der Verzierungen seinen Niederschlag findet. Die vom Spieler improvisierten Triller (etwa eines Quart-Terz-Vorhaltes) beginnen nicht grundsĂ€tzlich – wie im norddeutschen Repertoire des 17. Jahrhunderts ĂŒblich – mit der Hauptnote, sondern mitunter auch mit der oberen Nebennote, im Sinne der hochbarocken Verzierungspraxis.

Auch LĂŒbecks Pedalgebrauch weicht vom Usus der Epoche ab: War die Zuteilung der Bass-Stimme in Pedal oder Manual (aufgrund fehlender Pedalanweisungen) im 17. Jahrhundert durchaus der Entscheidung des Interpreten vorbehalten, ist der Pedaleinsatz bei LĂŒbeck genau notiert. Nicht selten ist dieser Einsatz – wie in der ersten Fuge des Praeludiums C-Dur [01] – schon aus grifftechnischen GrĂŒnden notwendig. Interessant ist auch – in der zweiten Fuge dieses PrĂ€ludiums – der Vermerk manuahl, der gerade den Verzicht auf das Pedal bekrĂ€ftigt.

Als Entstehungszeit von LĂŒbecks Orgelwerken wird oft die Hamburger Periode angenommen.12 Im Widerspruch hierzu steht die chromatische Pedalklaviatur der Orgel in St. Nicolai, denn LĂŒbecks gesamtes Orgelwerk verzichtet auffallenderweise auf das tiefe Cis und Es im Pedal. An der Orgel in St. Cosmae jedoch fehlen im Pedal gerade diese Töne. Insofern kommt der Huß/Schnitger-Orgel bei einer authentischen Wiedergabe von LĂŒbecks Orgelwerk eine besondere Bedeutung zu.

Zu den Werken und ihrer Interpretation

Das Programm wird vom mĂ€chtigen Praeludium C-Dur [01] eröffnet: Ein typisch norddeutsches PrĂ€ludium in feierlichem Charakter, beginnend mit einem donnernden Pedal-Solo. Auf das PrĂ€ludium folgen drei – in der Tonsprache sehr unterschiedliche – Fugen, von denen die dritte die feierliche Stimmung des PrĂ€ludiums wieder aufgreift.

Das Pedal-Solo ist ein besonderes Merkmal des norddeutschen Stils und kehrt noch bei zwei weiteren Werken des Programms wieder: im Preambulum F-Dur [02] und Praeambulum G-Dur [08], wobei auch das Praeludium d-Moll [09] nach einer kurzen Eröffnung des Manuals ein ausgiebiges Pedal-Solo bietet. Die Pedal-Soli werden in der Regel, wie zu Beginn dieser Compact Disc, mit Plenum registriert. Da LĂŒbeck seine Orgelwerke nicht fĂŒr einen zusammenhĂ€ngenden Vortrag (entsprechend einer Gesamteinspielung) gedacht haben mag, erhalten die Pedal-Soli in der vorliegenden Einspielung neben majestĂ€tischem Plenum-Klang (mit Zungen und Mixtur) mitunter auch zartere Registrierungen, wie im kammermusikalisch interpretierten Preambulum F-Dur [02]. Dieses PrĂ€ludium lebt von seinem improvisatorischen Gestus, gefolgt von einer Fuge im Canzonen-Stil. Die Rohr Flöt 4’ des Oberwerks unterstreicht den spielerischen Charakter der Fuge, ehe das StĂŒck fĂŒr die letzten Takte in die 8’-Lage des Anfangs zurĂŒckkehrt. Die Registrierung dieses Werkes verzichtet gĂ€nzlich auf die 16’-Lage.

Charakteristisch fĂŒr das Praelambulum c-Moll [03] ist der Oktavsprung c–C seines Themas, welcher im T.3 dreimal wiederkehrend den ersten musikalischen Gedanken abschließt. Der leidenschaftliche Charakter des PrĂ€ludiums wird in der Registrierung durch eine Zungendominanz unterstrichen; in AnknĂŒpfung an das PrĂ€ludium wird die Fuge mit dem gekoppelten Zungen-Chor registriert. Der Klang wird hier von der Schalmey 4’ des Brustwerkes dominiert, ein Register, das LĂŒbeck in seinen Orgelabnahmegutachten sehr schĂ€tzte. Das Werk blieb kurz vor Schluss in der Dominante unvollendet; die vorliegende Interpretation bringt den harmonischen Gedanken – unter ErgĂ€nzung dreier Takte – in die Grundtonart zurĂŒck.

Das als Variationen angelegte Choralvorspiel Nun Last uns Gott den Herren [04] ist insgesamt von durchaus lieblichem Charakter, was mit Registern wie einer Sesquialtera (RĂŒckpositiv, Versus 1) sowie einer Nassat Quint 1 œ’ und Sedetz 1’ (Brustwerk, Versus 2) unterstrichen wird. Im Versus 4 bedient sich LĂŒbeck des typisch norddeutschen Echo-Spiels durch schnelle Manualwechsel. Am Ende von Versus 6 steht ein “Ÿ-Takt”-Hinweis, was eine Fortsetzung des StĂŒckes verspricht, aber nicht eingelöst wird. In der vorliegenden Interpretation folgt auf Versus 6 ein improvisierter Satz des Chorals in Ÿ-Takt und fĂŒhrt die Variationsreihe zu einem möglichen Ende.

Im Zentrum des Programms steht das Praeludium g-Moll [05], ein singulĂ€res Werk der gesamten norddeutschen Literatur. Auf das gravitĂ€tisch vorgetragene PrĂ€ludium folgt eine fĂŒnfstimmige Fuge, die wie das PrĂ€ludium Doppelpedal verwendet. LĂŒbecks Dichte der Komposition in dieser Fuge erinnert an Bachs sechsstimmiges Choralvorspiel Aus tiefer Not schrei ich zu dir (BWV 686, auch mit Doppelpedal). Erst in der abschließenden dritten Fuge lichtet sich der Satz. Entsprechend der GravitĂ€t des Werkes wurde die Registrierung im PrĂ€ludium g-Moll bis auf die kurze durezze e ligature (T.I04–113) durchweg auf 16’-Basis gestellt. Dadurch wird der ausgebauten 16’-Lage der Huß/Schnitger-Orgel Rechnung getragen, die neben Labialen gleich ĂŒber zwei Zungenregister dieser Lage im Pedal und jeweils eines im Oberwerk und im RĂŒckpositiv verfĂŒgt.

Die Choralfantasie ist ein wichtiger norddeutscher Beitrag zur Orgelmusik und wurde erst durch die großen norddeutschen Orgeln möglich: Hier zeigt sich, wie eng in dieser Region Orgelkunst und Orgelbaukunst Hand in Hand gingen. In seiner einzigen Choralfantasie Ich ruff zu dir Herr Jesu Christ [06] folgt LĂŒbeck dem zugrunde liegenden Choraltext. Neben der Verzierungskunst der Choralmelodie sind LĂŒbecks kontrapunktische Raffinessen wie Fugentechnik, EngfĂŒhrungen, Verlagerung der Melodie in den Bass bemerkenswert. Die Choralmelodie erhĂ€lt zunĂ€chst eine silbrige Labial-Mischung, die in den folgenden Zeilen bald zur krĂ€ftigeren Sesquialtera des RĂŒckpositivs ĂŒberwechselt. Der erste Teil des Werkes endet in einem Epilog (T.94ff), in welchem fĂŒr Choralfantasien typische Echoeffekte angewandt werden, hier ausgefĂŒhrt mit zwei kontrastierenden Zungenregistern (Trechter Regal im RĂŒckpositiv und Krumphorn im Brustwerk).

Im zweiten Teil (T.107ff) beschleunigt sich (auch im Pedal) der Duktus; hierauf folgt (T.140ff) eine langsame „weinende“ Choralzeile, der affektive Tiefpunkt des StĂŒckes, registriert mit einer Krumphorn-Mischung auf dem Brustwerk. Der nĂ€chste – wiederum bewegtere – Teil (T.201ff) verlegt das Werk in der Registrierung auf die majestĂ€tische 16’-Ebene, ehe es in einer – fĂŒr Choralfantasien charakteristischen – apotheotischen Stimmung endet. LĂŒbecks Fantasie Ich ruff zu dir Herr Jesu Christ [06] steht bzgl. ihres musikalischen Gewichts in einer Reihe mit anderen großen Choralfantasien der Epoche, wie Johann Adam Reinkens (1640?–1722) An WasserflĂŒssen Babylon, Weckmanns Sextus Versus vom Es ist das Heyl uns kommen her sowie Dietrich Buxtehudes (1637–1707) Nun freut euch, lieben Christen g’mein (BuxWV 210).

Im Praeambulum E-Dur [07] finden wir – wie im Praeludium C-Dur [01] – mehrteilige toccatische Passagen und drei darauf folgende Fugen, wobei hier der Eingangsteil – im Gegensatz zum PrĂ€ludium C-Dur – zweimal durch durezze-e-ligature-Abschnitte unterbrochen wird. Bemerkenswert ist die Kraft des RĂŒckpositiv-Plenums (zusammengesetzt aus lediglich drei Registern), die die einleitende Motorik des PrĂ€ludiums begleitet.

Das Praeambulum G-Dur [08] beginnt mit einem Pedal-Solo und wird klanglich von der glockenhaften Cimbel des Oberwerkes (eigentlich ein Solo-Register) dominiert. Auf das PrĂ€ludium folgen zwei Fugen, die nur durch ein kurzes Zwischenspiel (T.67, registriert mit der sanften Rohr Flöt 8’ des RĂŒckpositivs) voneinander getrennt sind. Die erste Fuge wĂ€hlt fĂŒr die Darstellung ihres kompositorischen GefĂŒges (Consort-Stil) eine fĂŒrs Manual und Pedal identische Registrierung (Trompete 8’ + Octav 4’), in welcher die Trompete 8’ den Signal-Charakter des Fugathemas unterstreicht. Die beschwingte zweite Fuge im 12/8-Takt verleiht dem StĂŒck einen fröhlichen Ausklang.

Das Praeludium d-Moll [09] entspricht in seiner Zweiteilung in PrĂ€ludium und Fuge bereits dem stilisierten hochbarocken Modell. Dem toccatenhaften PrĂ€ludium folgt eine der lĂ€ngsten Fugen des norddeutschen Repertoires, deren Thema aus – fĂŒr LĂŒbeck typischen – perkussiven Achtelrepetitionen besteht. Im T.128 löst sich der strenge Puls der Fuge auf; sie mĂŒndet in eine virtuose toccatenartige Auflösung, die dem StĂŒck zu einem wirkungsvollen Abschluss verhilft.

Joseph Kelemen

OEHMS Classics
Bestellnummer: OC 607
Format: SACD

Weitere Informationen: www.oehmsclassics.de.




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